Caren Blumberg muss regelmäßig zur Dialyse und wartet auf eine neue Niere. Ihr Mann Sebastian würde eine seiner Nieren geben, aber die nötigen Merkmale stimmen nicht mit denen seiner Frau überein.
Jan Kempe steht kurz vor Notwendigkeit zu dialysieren. Seine Frau Birthe ist ebenfalls zur Nierenspende bereit. Doch das gleiche Dilemma, die Eigenschaften passen nicht zusammen.
Der Transplantationsarzt klärt beide Paare über ihre Möglichkeiten, Gefahren und voraussichtliche Abläufe auf.
Nach den Gesprächen bemerkt der Arzt zufällig, dass die Nieren über Kreuz gespendet passen würden. Caren Blumbergs Körper würde voraussichtlich Birthe Kempes Niere akzeptieren und Jan Kempe könnte wahrscheinlich mit Sebastian Blumbergs Niere leben.
Der Arzt lädt beide Paare zu einem gemeinsamen Gespräch.
Lebendspenden müssen in Deutschland von einer Ethikkommission gebilligt werden. Damit soll Organhandel und jedweder Zwang verhindert werde. Es soll sicher gestellt werden, dass die Organspende freiwillig und in Kenntnis aller Umstände erfolgt. Für Über-Kreuz-spenden gilt zusätzlich, dass die Paare sich kennen und befreundet sein müssen.
Darin liegt der Haken.
Von Ressentiments behindert fehlt beiden Paaren die Kraft und Offenheit, die es braucht, um sich kennenzulernen. Nur die Not zwingt sie zu Treffen, die solange desaströs enden, bis sie gemeinsam ihre Kinder aus einer gefährlichen Lage retten müssen.
Die Arztgespräche und die Diskussionen der Ethikkommisson erübrigen den in vielen TV-Filmen üblichen Erklärmodus. Die Protagonisten müssen nicht gekünstelte Dialoge führen, um Krankheiten und Therapien zu erklären, wie etwa viele Tatortkommissare, wenn es darum geht, mit soziologischen Fakten oder Statistiken die soziale Unwucht zu beschreiben, die mehr oder weniger (Hinter)Grund der Filmhandlung ist.
Das stärkt die Glaubwürdigkeit der Charaktere, die in solchen Formaten leicht unter einer zu heftigen Typisierung verkümmert.
Ich hätte mir trotzdem mehr Zeit für die Entwicklung der Charaktere und ihrer familiären Situation gewünscht. Sie sind alle sehr gut dargestellt. Bis in die Kleinigkeiten stimmig: wie Caren Blumberg (Christina Hecke) nach der Dialyse erschöpft ins Auto sinkt; Sebastian Blumberg (Benjamin Sadler) mit der nachlassenden Lebenskraft seiner Frau hilf- und ziellos aggressiver wird; Jan Kempe (André Szymanski) kontemplativ am Motorrad schraubend sich der umfassenden Müdigkeit hingeben will; Birthe Kempe (Annette Frier) die Kontrolle verliert, obwohl überzeugt immer richtig von falsch unterscheiden zu können; die 15jährige Livia Kempe (Ava Montgomery) gegen ihre Mutter revoltiert; Noah Blumberg (Philip Noah Schwarz) darum kämpft die Wahrheit zu erfahren und wie Sten Blumberg (Lewis Köhl) als Mini-Wissenschaftler forscht, um die Mutter zu retten.
In der Kürze einer 90minütigen Filmhandlung können sich die Familiendramen nicht wirklich entfalten.
Der kontemplative Motorradschrauber (vermutlich eine Reminiszenz an „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“, Robert Pirsig 1974, Roman, Autofiktion und philosophischer Essay) denkt darüber nach, dass das Leben früher einfach endete und heute… In einem dieser Gespräche, die er üblicherweise unwirsch beendet bevor sie richtig angefangen haben, äußert er, dass er keine Dialyse und Transplantation will.
Dies ist seiner Lage sehr glaubwürdig, er ist mit seiner Kraft am Ende. Seine Welt zieht sich zusammen. Er meidet Auseinandersetzungen, tut er was er meint, was getan werden müsste.
Kaum hat seine Frau Birthe in die Runde verkündet, sie seien Vegetarier, fragt die Bedienung in seinem Stamm-Mittagspause-Lokal: Und für sie das übliche, Schnitzel mit Kartoffelsalat? Als seine Frau Birthe sich seekrank auf den Boden des Bootes der Blumberg übergibt, Sebastian Blumberg sich aufregt, sie solle sich gefälligst über die Reling legen und Caren Blumberg daraufhin mit ihrem Mann streitet, lässt Jan sich über Bord fallen und beendet so die Sache.
Als alle aufgeregt beratschlagen, was zu sei um die Kinder zu retten, die auf dem See im aufgelaufenen Boot hocken, springt er auf das nächstgelegene Motorboot, reißt er die Plane runter und startet den Motor. (Sehr unglaubwürdig fand ich den Ringkampf mit Sebastian, der zuvor stattgefunden hatte. Das passt nicht zu seinem Zustand.)
Die Aussage, die Dialyse nicht antreten zu wollen, ist glaubwürdig (mit Nierenversagen einschlafen ist ein milder Tod), steht aber in großer Spannung zu Geschäftigkeit, Liebe und Eifer seiner Frau, die ja ihre Niere spenden will. Ausserdem hat er den guten Draht zur pubertierend revoltierenden Tochter, die ihm beim Motorradschrauben zusieht und bei ihm ihre Klagen über die Mutter loswird.
Dieser Widerspruch wird überhaupt nicht verfolgt. Wir erfahren nie, was Birthe zu dem zögernden und grübelnden Jan sagt.
Caren Blumberg ist ein mehr aus sich herausgehender Typ. Bei ihren Versuchen mit Jan ins Gespräch zu kommen, erzählt sie, dass das ganze Elend mit der Dialyse verschärft losging. Der eiserne Takt der Dialyse dreimal die Woche ist eine unerträgliche Fesselung für sie. Noch während der Dialyse arbeitet sie an ihrem Tablet.
Die Notwendigkeit der Dialyse wird nach Werten entschieden, die darüber Auskunft geben, inwieweit die Nieren noch arbeiten. Die Werte mögen einheitlich (neudeutsch Benchmark) sein, aber es geht dabei jedem Menschen anders. Ich würde tippen, dass es Jan mit der Dialyse nach kurzer Zeit besser gehen würde, als in seinem aussichtslosen Kampf gegen die Müdigkeit.
Doch zurück zu Caren. Sie hatte sogar eine Transplantation im Ausland überlegt, doch Sebastian war dagegen gewesen. Der anfängliche Eindruck, dass der selbstbewusst auftretende Sebastian die Beziehung einseitig dominiert, scheint zu trügen, sie kontert mit Ironie und auch sehr direkten Ansagen.
Nach einem Tag an dem das Befreunden scheiterte, Ärger und Hoffnungslosigkeit dich im Raum stehen, wendet sich Sebastian im Bette seiner Frau zu. Aber sie ist zu müde und schlapp. Er ist nervös und geladen und verlässt Bett und Haus.
Sie verzeiht Sebastian schnell, dass er mit einer Essort-Dame (natürlich, er kannte das alles nur von Geschäftsfreunden) ein Hotel besucht hatte.
Die ermattende Libido, hier krass angerissen, wird als Thema nicht weiter verfolgt. Im Falle der Familie Kempe nur angedeutet: Jan Kempe liegt schon weggedreht im Bett (in Embryo-Haltung? Ich habs vergessen), als Birthe ins Bett steigt.
Trotz all der Andeutungen, die dann nicht weiter verfolgt werden, ein guter Film. 90 Minuten sind einfach zu kurz, um in zwei schicksalhaft verschränkten, sehr verschiedenen Familien die Binnendynamiken zu entwickeln.
Einzig deutlich wird in dem Film, dass die Festlegung, die Paare müssten eng befreundet sein, absurd ist. Beides sind liebende Paare mündiger Partner, die von sich aus spenden wollten. Das sollte zu einer Über-Kreuz-Spende genau so reichen, wie es in den Beziehungen jeweils als Partnerspende genehmigt worden wäre.
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob in dieser Konstellation und unter diesen Umständen (zufällige Entdeckung der Übereinstimmung durch den Transplantationsarzt und nicht z.B. durch Internetsuche), die Kommission die Über-Kreuz-Spende nicht doch in einem milderen Licht als dem abstrakter Ethik-Festlegungen gesehen hätte. Zwang und Organhandel konnten schließlich ausgeschlossen werden.
Wäre eine Miniserie besser oder passend? Vielleicht reicht die Quotenerwartung für eine Serie über Krankheit dazu nicht.
Nebenbei: Den Tag zuvor habe ich „Leid und Herrlichkeit“ von Pedro Aldomovar gesehen. In dem Film geht es um einen von Krankheiten niedergedrückten, alternden Regisseur. Mit toll gestalteten,animierten Infografiken seiner Gebrechen beginnt der Film, alle nötigen „sachlichen“ Erklärungen sind damit aus dem Weg. Auch eine Methode um Filmzeit zu gewinnen.
Hier geht es zum Film in der ZDF-Mediathek
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