Diese Textstücke und „Proverbs“ sind aus „The Marriage of Heaven and Hell“ von William Blake. Die Auswahl ist nicht systematisch, sie folgt inhaltlichen Impulsen ebenso wie typographischen Überlegungen. Die Reihenfolge ist leicht verändert. Entnommen sind sie der Online-Ausgabe des „Projektes Gutenberg“.
Veröffentlicht im November 2021
The road of excess leads to the palace of wisdom“. Das war der erste Satz den ich von William Blake gelesen habe. Das war 1980. Wer wollte nicht im Palast der Weisheit ankommen? Ein bisschen geheimnisvoll, verrucht, wild. Jedenfalls so verführerisch, dass der Spruch sich eingeprägt hat, während ich schon lange nicht mehr hätte sagen können, welchem Gedicht oder Buch die Zeilen als Motto dienten. Das habe ich jetzt gesucht und gefunden: Wolf Wondratschek hatte seinem Gedicht „Der Paragraph (Über die Verherrlichung von Drogen)“ diese Zeilen vorangestellt.
Das zweite Mal das mir ein William Blake-Spruch ins Auge fiel und ins Gedächtnis prägte war bei einem Termin in einer Werbeagentur. Ein Plakat, ein Leitmotiv unübersehbar: „The tigers of rage are wiser than the horses of instruction“. Das war Mitte der 90er Jahre.
Die Werbeagentur arbeitete in einem Hinterhof in den Räumen einer ehemaligen Werkstatt mit diesen Hohen, schmale Kachelfenstern, wie sie Werkstätten und Industriebetrieben früher üblich waren. Die Breite des Gebäudes war die Länge des Raumes, abzüglich Eingang zum Treppenhaus für die anderen Hausbewohner. Der Raum war im Verhältnis zur Länge schmal, mittelmässig zwischen Schlauch und Schuhkarton.
Ich wartete auf einer roten Couch. Die Couch stand auf eine Bühne, eine Stufe hoch, in einer kleinen Nische. Gegenüber der Eingang, vor mir links ein Glaskasten „Empfang/Sekretariat“.
Nach rechts eine Reihe von Schreibtischen, quer zur Länge des Raumes. Auf den Schreibtischen Macs. Wände, Schreibtische, Computer, mir schien auch die Klamotten, einfach alles war konsequent dreifarbig gestaltet: eierschalenweiß, hellgrau und anthrazit/fast schwarz.
An der Wand links, neben dem Glaskasten, hing dieses große schwarzes Plakat, quadratisch, mit weißer serifenloser Schrift, ganz sachlich-nüchtern: „The tigers of rage are wiser than the horses of instruction“.
Wow. Was bedeutet das? Sind Entscheidungen aus dem Instinkt, aus dem Impuls, aus dem „Bauch raus“ das einzig Richtige?
Warum ein Motto so unübersehbar platziert? Sollte dies ein Ort des wilden, freien Denkens und der ehrlichen Gefühle sein? Wurden hier keine Pirouetten auf Ansage gedreht, gab es keine gewöhnlichen Rituale, Konventionen, keine trockene Routine? Was gab es hier stattdessen? Leidenschaft, Vertrauen in die eigenen Eindrücke, Gefühle, starke Entscheidungen?
Mußte die Geschäftsleitung, um so ein Verhalten zu fördern, ständig daran erinnern? Oder brauchte die Geschäftsleitung ein kleines mystisches Rätsel, um eigene Willkür zu vernebeln; hatten die Chefs zu oft schlechte Laune oder wechselnde Ansichten oder beides?
Ich saß auf einer Bühne und folgte einer Inszenierung: Eine der beiden Frauen aus dem Glaskasten trippelte immer wieder mit Faxen zu den Schreibtischen. Das Faxe-Verteilen folgte dem Takt des Faxgerätes, das im Sekretariat A4 Blätter ausspuckte. Keine lauten Stimmen. Keine Gespräche.
Die Agentur arbeitete für einen örtlichen Pharmakonzern. Ich war dort um die Produktion einer Großflächenplakates zu besprechen. Die Affiche war Teil einer Kampagne für eine Anti-Fußpilz-Salbe. Die Affiche sah aus, wie ich es bei dem Auftraggeber der Agentur und der Zielgruppe erwartet hätte.
Der Blake-Satz blieb mir im Gedächtnis. Ich hatte auf Ansage Pirouetten zu drehen. Ich brauchte Geld, ich betrieb Vorsorge: meine schlummernden Krankheiten tackerten mich an den Job, wie ich vorher an noch keinem anderen festhing. Da kitzelte dieses dunkle und nicht ganz klare „Nieder mit der Dressur“!
Beide Zitat sind aus William Blakes „The Marriage of Heaven and Hell“, beide aus dem Absatz „Proverbs of Hell“.
William Blake (1757 - 1827) war ein Dichter, Maler und Drucker. Er entwickelte die Reliefradierung, bei der, wie beim Buchdruck, die erhabenen Linien drucken und nicht wie bei der traditionellen Radierung die im Druckstock vertieften Linien die Farbe führen die das Papier aufnehmen muss. Heute gilt er als einer der großen britischen Künstler, zu seiner Zeit war er eher ein Aussenseiter und galt als Exzentriker. (Was den Republikaner möglicherweise vor dem Gefängnis bewahrte). Er druckte und illustrierte seine eigenen Schriften, eine Arbeit, die sich bei einigen Schriften über Jahre hinzog.
Blake lehnte die traditionellen metaphysischen Vorstellungen und die organisierte Religion ab. Die Trennung von Körper und Geist/Seele akzeptierte er nicht.
In seinen Gedichten, poetischen Ideenschriften und Erzählungen gewannen alte und biblische Begriffe neue Bedeutungen. Mochte die Kirche von Hölle als dem Ort der ewigen Verdammnis reden, dort Qualen und Wahnsinn sehen; er hörte dort die Stimmen der Leidenschaft und des intensiven Lebens. Er iwar entzückt von den Genüssen der Höllenbewohner. Bei seinem Besuch sammelte er ihre Sprichwörter, die „Proverbs of Hell“, weil sie die „infernale Weisheit“ besser zeigten als es jede Beschreibung könnte.
Für ihn zirkelte die „Vernunft“ der Aufklärung der menschlichen Erfahrung ein zu enges Feld ab. In einem seiner Bilder sitzt Newton wie hypnotisiert über seinen Zirkel gebeugt, die Farben und Formen der Welt um sich herum nicht mehr wahrnehmend. Newtons wissenschaftliche Erklärung der Entstehung der Farben lehnte er ab (wie Goethe es auch tat).
Stand er dieser wissenschaftlichen Aufklärung auch skeptisch gegenüber, so sollte auch nach seiner Definition die Vernunft die menschliche Welt erhellen und aufklären. Die Toten hielten für ihn kein Geheimnis, in ihrem Namen sollten die Lebenden nicht verpflichtet werden. Er verflüchtigte den Menschen nicht in Geist oder Seele. Begehren, Sinnenfreuden und sexuelle Bedürfnisse gehören dazu, haben ihre Rechte und ihren Platz und sollten nicht in tradierten Konventionen unterdrückt werden. William Blake feierte und forderte den ganzen Menschen, seine Freiheit und seine Möglichkeiten.
Blake ist Musik. Ein Gedicht von William Blake lesen heißt Musik erklingen zu lassen. Der Klang seiner Worte, ihr Zusammenspiel, seine perfekte Metrik - er tönt und rhythmisiert die Zeit zur Musik. Auch wo der direkte Sinn der Worte unverständlich bleibt, seine Bezüge und Verweise uns sich heute nur nach weiterem Studium erschliessen, seine Begeisterung für das Leben und die Freiheit der Menschen nimmt uns mit. Wir fühlen diesen Enthusiasmus und lassen uns davon mitreißen, erheben. Seine Gedichte sinken nicht meditativ ein, wie vielleicht ein Gedicht von Rilke, sie sind eher ein Stachel, sie befördern einen Trotz. Es ist ein anderer Zauber.
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Bertrand Russel soll auf der Treppe ohnmächtig geworden sein als er eine Rezitation des Gedichtes „The Tyger“ hörte. Luise Glück erzählt in ihrer Nobelpreisrede, wie sie als Kind Wettbewerbe in ihrem Kopf veranstaltet habe, welches das beste Gedicht der Welt sei und dass eines von William Blake gewann.
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Seine mystischen Texte - Gedichte, Prophezeiungen - und Bilder sind sozusagen surrealistisch anschlußfähig. In der Sub-/Underground-Kultur der 60/70er wurde er rezitiert, vertont und seine Werke erlebten einen großen Popularitätsaufschwung.
Seine Texte ermöglichen ein inneres Offenhalten gegen allzu dicht gewirkte moralische Imperative. Sie geben ein wenig von der Freiheit zurück, die von detailliert, vorlaut und vorschnell daherkommenden Aufforderungen bedrängt wird. Sein „Himmel“ und seine „Hölle“ lösen sich nicht auf, sie gehören zusammen, aber nicht wie Gut/Böse, eher ein Füllhorn unserer Potenziale zu unserm Glück.
William Blake besang die französische und amerikanische Revolutionen und ging darüber hinaus. Er forderte von der Revolution die Sklavenbefreiung. Seine Illustrationen von Stegmanns „Bericht über eine fünfjährige Expedition nach Surinam einen Sklavenaufstand niederzuschlagen“ gehören zu eindrücklichsten Bildern der Gräuel der Sklaverei.
Während sein ostpreussischer Zeitgenosse Kant bei der Entwicklung seines philosophischen Systems nicht ohne rassistische Bemerkungen auskam (die unterschiedlichen „Talente“ der „Rassen“ der Geografie und dem Klima zuschreibend), beschrieb Blake die Gleichwertigkeit aller Menschen.
Er illustrierte Mary Wollstonecrafts „Original Stories from Real Life“. Wollstonecraft hatte in ihrem Hauptwerk, „A Vindication of the Rights of Woman“, gegenüber den Aufklärern auf Gleichwertigkeit und Bildung für Frauen bestanden. Ziele die Blake unterstützte.
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